„Neben den vielen Möglichkeiten und Vorteilen in Bezug auf die Verkehrs- und Unfallsicherheit sowie das Fahrgefühl bietet die Steer-by-Wire-Technologie auch die Möglichkeit für alternative Eingabegeräte anstelle des klassischen Lenkrads“, erklärt Thomas Maier. Denn gerade in Hinblick auf das autonome Fahren stellt sich die Frage, welche Rolle das Lenkrad in Zukunft überhaupt spielen wird. Klar ist: Je höher der Automatisierungsgrad, desto weniger muss der Fahrer das Lenkrad bedienen und kann sich anderen Aufgaben widmen. Speziell in hochautomatisierten Fahrzeugen könnte das Lenkrad durch alternative Bedienelemente ersetzt werden, die eine flexiblere Innenraumgestaltung ermöglichen. Im Rahmen einer größeren Untersuchung hat Thomas Maier verschiedene Konzepte erarbeitet, weiterentwickelt und in Fahrversuchen getestet.
Auf Basis umfangreicher Erfahrungen aus vorherigen Projekten bei thyssenkrupp Steering in Eschen (Fürstentum Liechtenstein) und mit Blick auf eine möglichst vollständige Integration in die Fahrzeugumgebung entwickelte der Ingenieur insgesamt drei Konzepte.
- Microwheel: Das Microwheel besteht aus einem Drehteller als Basis und einem Knopf, der drehbar auf dem Drehteller gelagert ist und mit nur drei Fingern bedient werden kann. Ähnliche Bedienelemente werden bereits von verschiedenen Anbietern für Menschen mit körperlichen Einschränkungen hergestellt, sind jedoch recht einfach gehalten und daher nicht für die breite Masse gedacht.
- Fingerwheel: Inspiration für das Fingerwheel war zum einen die klassische Fernbedienung, wie sie bei ferngesteuerten Modellautos verwendet wird, und zum anderen die Tatsache, dass ähnliche Bedienelemente bereits zur Bedienung von Infotainmentsystemen eingesetzt werden, zum Beispiel bei „iDrive“ von BMW. Das Fingerwheel-Konzept ist besonders kompakt und lässt sich am einfachsten in die Fahrzeugumgebung integrieren.
- Joystick: Das Konzept des Joysticks ist eine Weiterentwicklung aus Versuchen, die im Rahmen einer Masterarbeit bei thyssenkrupp Steering durchgeführt wurden. Der Joystick ist vertikal so ausgerichtet, dass er durch eine Rotationsbewegung des Unterarms über das Handgelenk gesteuert wird.
Integriert wurden die unterschiedlichen Konzepte in eines der Forschungsfahrzeuge der Lenkspezialist:innen aus Liechtenstein. „Um das Lenkverhalten der verschiedenen Geräte im Hinblick auf Beherrschbarkeit, Ermüdung, Empfindlichkeit und Benutzerfreundlichkeit zu bewerten, wurden verschiedene Fahrmanöver definiert, die von einem professionellen Testfahrer von thyssenkrupp Steering durchgeführt und subjektiv bewertet wurden“, verrät Thomas Maier. Um die verschiedenen Bereiche besser analysieren zu können, wurden die Manöver in Fahrsituationen mit unterschiedlicher Dynamik unterteilt.
Die Testfahrten mit geringer Dynamik umfassten dabei in erster Linie Alltagsmanöver mit geringen Geschwindigkeiten. Etwa das präzise Abfahren einer markierten Linie auf einer kurvigen Strecke bei 20 km/h.
Bei den Testfahrten mit mittlerer Dynamik ging es um Fahrmanöver mit moderatem Schwierigkeitsgrad bei höheren Geschwindigkeiten. So beispielsweise das Abfahren eines Handlingkurses ohne in den fahrdynamischen Grenzbereich zu kommen.
Das Set-up für die Tests mit hoher Dynamik sah anspruchsvolle Fahrmanöver mit höheren Drehzahlen vor, wie etwa Doppelspurwechselmanöver bei hohen Geschwindigkeiten.
Bei allen Fahrmanövern wurden ausgewählte Signale gemessen, aufgezeichnet und ausgewertet. „Um die Testergebnisse genau einordnen zu können, wurden neben den drei Lenkrad-Alternativen auch alle Manöver mit dem normalen Lenkrad durchgeführt“, berichtet Thomas Maier. „Ausgehend von dieser Basisreferenz wurden die jeweiligen Leistungen von deutlich schlechter bis deutlich besser mit jeweils drei Unterstufen bewertet.“ Die Analyse der Daten zeichnete ein klares Bild.
„Das Microwheel schnitt im Vergleich insgesamt am schlechtesten ab“, verrät Thomas Maier. „In Bezug auf die Kontrollierbarkeit zeigte es in allen Tests Nachteile gegenüber den anderen Geräten, insbesondere beim Handling-Parcours und dem Doppelspurwechselmanöver. Den größten Einfluss auf die schlechteren Ergebnisse hatte die winkelabhängige Drehknopfposition, da sie keinen homogenen und leicht unvorhersehbaren Bewegungsablauf ergibt.“ Dennoch zeigte auch das Microwheel - wie auch die anderen Geräte - Vorteile gegenüber dem herkömmlichen Lenkrad, wenn es um Einparkmanöver geht. Auch in Bezug auf die muskuläre Ermüdung im Arm der Fahrenden schnitt das Microwheel recht gut ab, und in Sachen Sensibilität zeigten sich Vorteile gegenüber den anderen Konzepten. Allerdings ist das Konzept allein aufgrund seiner Größe nur bedingt in die Fahrzeugumgebung integrierbar und auch in puncto Ergonomie und Intuitivität liegt es hinter den beiden anderen Geräten zurück, wie Thomas Maier feststellt.
Das Fingerwheel zeigte hier deutlich bessere Ergebnisse. „Das Konzept ist sehr intuitiv und benutzerfreundlich und lässt sich am besten in die bestehende Umgebung integrieren“, so Thomas Maier. Hinsichtlich der grundsätzlichen Beherrschbarkeit zeigte das Fingerwheel bei Fahrmanövern niedriger und mittlerer Dynamik keine nennenswerten Beeinträchtigungen, lediglich das Rückwärtsfahren war im Vergleich zum herkömmlichen Lenkrad etwas schwieriger. Bei den hochdynamischen Manövern stieß das Fingerwheel an seine Grenzen. So beispielsweise beim Doppelspurwechsel bei hohen Geschwindigkeiten. Beim Thema Ermüdung zeigte das Fingerwheel insgesamt Vorteile, vor allem im Vergleich zum Joystick. Ein kritischer Minuspunkt laut Thomas Maier: „Da es das empfindlichste aller Geräte ist, reagiert das Fahrzeug vor allem bei niedrigen Geschwindigkeiten zu stark auf Lenkeingaben.“
Der Joystick erzielte die besten Ergebnisse in Bezug auf die Kontrollierbarkeit, insbesondere bei hochdynamischen Manövern. Thomas Maier: „Die hohe Fahrzeugreaktion auf Lenkeingaben, vor allem bei niedrigen Geschwindigkeiten, zeigte sich auch beim Joystick aufgrund der sehr hohen virtuellen Übersetzung, wobei das höhere Drehmoment, dem etwas entgegenwirkt.“ Beim Joystick traten über alle Tests hinweg die stärksten Ermüdungserscheinungen im Arm auf, stellte Thomas Maier fest. Ebenfalls ein Manko: Der Joystick ist aufgrund seiner Größe und Ausrichtung am schwierigsten in den Innenraum zu integrieren.
„Der aktuelle Entwicklungsstand zeigt noch Einschränkungen hinsichtlich des Komforts bei niedrigen Geschwindigkeiten und der Beherrschbarkeit bei hochdynamischen Ausweichmanövern, die weitere Untersuchungen erfordern“, fasst Thomas Maier die Ergebnisse zusammen.
Auch im Hinblick auf Sensitivität der Bedienung und Ermüdung sieht der Entwickler noch Potenzial. „Die Ergebnisse zur Ermüdung deuten darauf hin, dass sowohl beim Fingerwheel als auch beim Microwheel höhere Lenkmomente möglich wären. Dies könnte helfen, die Sensibilität bei niedrigen Geschwindigkeiten zu verringern und den doppelten Spurwechsel zu kontrollieren. Andererseits könnte das Grunddrehmoment des Joysticks gesenkt werden, um die Ermüdung zu verringern.“
Eine weitere wirksame Methode zur Verringerung der Sensitivität in allen Geschwindigkeitsbereichen könnte darin bestehen, die Dämpfung bei hohen Lenkeingangsgeschwindigkeiten deutlich zu erhöhen. Dies dürfte die hohen Lenkradwinkelgeschwindigkeiten reduzieren und auch zu einem besser kontrollierbaren Verhalten bei Ausweichmanövern führen.
Weitere Tests und Abstimmungen im Besonderen bezüglich Sensitivität der einzelnen Konzepte sind bereits im Gange. Ebenfalls werden neue Funktionen sowie Regelungskonzepte für das Fingerwheel und den Joystick getestet, um die aufgezeigten Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.
Gemeinsam mit Automobilherstellern (OEMs) sind umfangreiche Prototypen-Fahrzeugaufbauten geplant, um die innovativen Konzepte für alternative Bedienelemente weiterzuentwickeln und deren Einsatzmöglichkeiten voranzutreiben. Durch eine enge Zusammenarbeit mit den OEMs sollen praxisnahe Lösungen erarbeitet werden, die den Fahrkomfort und die Funktionalität in zukünftigen Fahrzeugen signifikant verbessern.
Egal, welchem Konzept die Zukunft gehört: thyssenkrupp Steering wird eine entscheidende Rolle bei den Bedienelementen der Zukunft spielen.